Sweet Dreams Big Ben - ein Londoner Wahrzeichen im Dornröschenschlaf

22.08.2017 09:08

Kerstin Dopatka

Am 11. Juli 1859 drangen die Glocken des Big Ben zum ersten Mal vom Glockenturm des Westminster Palace, der seit dem 12. Jahrhundert Sitz des britischen Parlaments in London gewesen ist. Sie markierten damit einen wichtigen Schritt in der Fertigstellung des Palastes, dessen ursprüngliches Gebäude 1834 durch ein verheerendes Feuer nahezu komplett zerstört worden war.

Während das Parlament bereits zwischen 1847 (House of Lords) und 1852 (House of Commons) in den Palast zurückgekehrt war, sollte es noch einige Jahre dauern, bis der neue Glockenturm selbst eingeweiht werden konnte. Dafür aber sollte er gewaltig beeindrucken: Eine gigantische Uhr – “The King of Clocks” - sollte den Londonern auf allen vier Seiten des Turms die Zeit ansagen – und das auf die Sekunde genau. Zudem sollte jede volle Stunde mit dem durchdringenden Klang einer 14 Tonnen schweren und in ganz London zu hörenden Glocke verkündet werden.

Die Oberaufsicht über die Konstruktion dieser Uhr ging an den Astronom George Airy – die Umsetzung wurde nach einer Wettbewerbsausschreibung an den Uhrenmacher Edward Dent und seinen Assistenten Edmund Denison vergeben.

1854 war es dann soweit: Die größte und angeblich genauste Uhr der Welt stand in den Startlöchern und wartete darauf, endlich in ihre Aufgaben eingeweiht zu werden.

Was jedoch fehlte, war der dazugehörige Turm.

Während die Konstrukteure die hübsche Idee gehabt hatten, den Turm von innen nach außen zu bauen, so dass kein Gerüst die empfindlichen Blicke der Londoner betrüben konnte, dauerten die Ausführungen doch um einiges länger als gedacht. Und während seit 1854 die Uhr und seit 1856 auch die riesige Glocke auf ihren Einzug warteten, werkelten die Bauarbeiter noch bis 1859 weiter, ehe sie den Turm tatsächlich fertig stellen konnten.

Als der große Moment schliesslich gekommen war musste zuerst Big Ben – wie man die Glocke inzwischen genannt hatte - und dann die Uhr, den über 60 Meter hohen Turm hinauf gehievt werden. In tagelanger Schwerstarbeit rackerten die Männer sich damit ab, den tonnenschweren Guss durch den Schacht nach oben zu ziehen. Erst als dieser, zusammen mit seinen vier kleineren Schwesterglocken richtig an Ort und Stelle verankert war, konnte die Uhr mit ihren vier Zifferblättern angebracht werden. Und während Frederic Dent, der Stiefsohn des inzwischen verstorbenen Uhrmachers Edward Dent, vor Spannung den Atem angehalten haben muss, als das Meisterwerk seines Vaters erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen war, kam es zu einem neuen Eklat: Die Uhr funktionierte nicht! Die aus Eisen geschmiedeten Minutenzeiger waren zu schwer und mussten umgehend durch leichtere Kupferzeiger ersetzt werden.

Zum Glück konnte diese Lösung schnell und erfolgreich umgesetzt werden, so dass ab dem 31. Mai 1859 endlich eine neue – und sehr akkurate - Zeit am Westminster Palace angebrochen war.

Nachdem die Uhr ein paar Wochen erfolgreich getickt hatte, sollten im Juli die Glocken eingeweiht werden. Doch auch hier kam es schon wenige Wochen später zu einem weiteren Malheur: Big Ben war gerade dabei die Stunde zu schlagen, als sich plötzlich ein etwa 30 Zentimeter langer Riss mitten durch den Guss zog und die Melodie zu einem jähen Ende brachte.

So geschah es, dass Big Ben schon kurz nach seiner großen Premiere gleich wieder zum Schweigen kam. Für die nächsten vier Jahre sollten nun die kleineren Glocken – die sogenannten Quarter Bells - die neuen Stunden einläuten, ehe letztendlich entschieden wurde, Big Ben einfach umzudrehen und einen leichteren Schlägel für den Glockenschlag zu nutzen. Der Trick funktionierte und Big Ben (der offiziell eigentlich “Great Westminster Clock” heißt) ist seitdem fast zu jeder neuen Stunde im Vereinigten Königreich zu hören gewesen.

Nach 154 Jahren treuen Läutens ist nun jedoch der Zeitpunkt für eine weitere Zäsur im Leben des Glockenturms gekommen. Aufgrund wichtiger Sanierungsarbeiten wird Big Ben am 21. August 2017 um 12:00 Uhr zum letzten Mal erklingen und dann für ca. 4 Jahre schweigen. Anders als bei seiner Errichtung, als der Turm von innen nach außen erbaut wurde, sind die Gerüste heute bereits aufgestellt und kündigen die anstehenden Restaurierungsmaßnahmen unverkennbar an.

Auf die Uhr im Elizabeth Tower (so wurde der Glockenturm 2012 anlässlich des Diamantenen Jubiläums von Königin Elizabeth offiziell genannt) werden die Restaurationsarbeiten keinen sichtbaren Einfluss haben. Das alte Uhrwerk wird für die nächsten Jahre durch ein elektrisches Getriebe ersetzt und die Zeit wird weiterhin über die Themse hinweg sichtbar bleiben. Selbst Big Ben soll zu wichtigen Ereignissen wie dem Rememberence Sunday oder dem Jahreswechsel für kurze Augenblicke aktiviert werden.

Ob es ansonsten tatsächlich bei dem vierjährigen Schweigen bleiben wird ist allerdings noch ungewiss, denn wie so oft tun sich viele Briten auch hier mit der Veränderung schwer. Einige Parlamentarier haben bereits vehement gegen das Vorhaben protestiert und auch Theresa May hat ihr Missfallen über die anstehende Stille zum Ausdruck gebracht. Ob diese Proteste jedoch erhört werden wird sich in den nächsten Monaten zeigen.