Ab heute heißt Du George - oder wie ein deutscher Kurfürst ungewollt zum König der Briten wurde

18.04.2017 09:26

Kerstin Dopatka

Über 300 Jahre sind vergangen, seit jener Reise im September des Jahres 1714, mit der Kurfürst Georg Ludwig zu Braunschweig-Lüneburg schweren Herzens Abschied von seiner Heimat Hannover nahm und einer ungewissen Zukunft in London entgegenfuhr. König sollte er werden, König von Großbritannien, einem Land, das erst vor wenigen Jahren gegründet worden war; ein König von Menschen, die er nicht kannte und deren Sprache er nicht sprach; König von einem Königreich, in dem das Parlament in vielerlei Hinsicht mehr zu sagen hatte als der König selbst.

Georg war nicht "amused".

Wenn auch so mancher von königlichen Würden träumte, so war es für ihn doch wohl ein Schicksal, das er mit wenig Freude akzeptierte. Bei seiner Geburt hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass Georg einmal als Hannoveraner Monarch in die britische Geschichte eingehen sollte. Zwar war er der 

Ur-Enkel von James VI. / I., der von 1603 bis 1625 König über die Königreiche England und Schottland war, doch stand er damit nicht einmal an 50. Stelle in der britischen Thronfolge. Dann aber kam alles anders.

Nachdem Politiker und Adel des strikt anglikanischen Englands sich im 17. Jahrhundert zusehends von den katholischen Auswüchsen seiner Stuart-Könige bedroht gefühlt hatten, sorgten die Mächtigsten des Landes 1688/1689 mit der Glorious Revolution, dem Bill of Rights und später dem Act of Settlement dafür, dass nie wieder ein Katholik den englischen Thron besteigen sollte. Leidtragender dieser „Revolution“ war James II. Zwar selbst als Anglikaner geboren, war er später zum Katholizismus übergetreten und hatte beständig versucht seine Glaubensgenossen in wichtigen Positionen des Landes aufzustellen. Dem anglikanischen Adel und seinen Politikern war dies ein Dorn im Auge und so schmiedeten sie bald einen verräterischen Plan: James protestantische Tochter Mary die inzwischen mit dem ebenso protestantischen William von Oranien verheiratet war und in Holland lebte, wurde „eingeladen“, zusammen mit ihrem Mann die Regentschaft in England zu übernehmen. Allen familiären Skrupeln zum Trotz setzten die beiden kurz darauf nach England über. Nahezu mühelos übernahmen sie das Land während Vater James in Richtung Frankreich floh und Rachepläne schmiedete. Wenig später regierte William und Mary in enger Zusammenarbeit mit dem englischen Parlament, blieben aber selbst ohne eigene Nachkommen.

 

George I. von Großbritannien, Kurfürst von Hannover

Als erst Mary und später William starben, übernahm Marys Schwester Anne die Krone, doch auch sie war nicht in der Lage, die Thronfolge durch eigene Nachkommen zu sichern. 18 Schwangerschaften musste sie durchleben doch immer wieder wurde sie durch Fehlgeburten oder den frühen Tod ihrer Kinder  enttäuscht. Als auch die letzte Hoffnung auf einen direkten Erben gestorben war, war Queen Anne sehr dick und sehr krank und dem Parlament wurde bewusst, dass es anderweitig nach einem Thronfolger suchen musste.

In akribischer Kleinstarbeit machte man sich daran, den Stammbaum der englischen Königsfamilie auf würdige Erben zu untersuchen und stellte bald fest: Alles Katholiken! Eine Katastrophe für die Parlamentarier, die seit der Glorious Revolution immer weiter an Macht und Einfluss gewonnen hatten. Erst als man bei einer deutschen Enkelin von James VI. / I. angekommen war hatte man im fernen Hannover eine protestantische Thronfolgerin gefunden: Sophie von der Pfalz - Ehefrau von Kurfürst Ernst-August von Braunschweig-Lüneburg und Mutter von sieben Kindern. Sie war die Tochter von Elizabeth Stuart und die Enkeltochter von James VI. / I. In ihrer Heimat Hannover war sie lediglich „Gattin“ - die „First Lady“ an der Seite ihres Gemahls – eine Frau als regierende Landesfürstin wäre hier unvorstellbar und gegen die Regeln des in Hannover gütligen Salischen Erbfolgerechts gewesen. In England jedoch hatten bereits vor Queen Anne mehrere Frauen auf dem Thron gesessen und der rechte Glaube war wichtiger als das Geschlecht.

So kam es, dass im Jahre 1701 der Act of Settlement unterschrieben und Sophie sowie ihre Nachkommen aus dem Hause Hannover als Nachfolger für Queen Anne bestimmt wurden. Zwar war Sophie damals mit ihren 71 Jahren doppelt so alt wie die nur 36-jährige Anne doch schien ihr Gesundheitszustand wesentlich besser, als der ihrer entfernten Verwandten. Und so verging ein Jahr nach dem anderen. Obwohl Sophie mehrmals den Wunsch geäußert hatte, Anne in England zu besuchen, konnte Anne den Gedanken ihrer potentiellen Nachfolgerin zu begegnen nicht ertragen. Ein Treffen zwischen den beiden fand niemals statt.

Kurfürstin Sophia

Dann aber verstarb Kurfürstin Sophie von Braunschweig-Lüneburg 1714 im Alter von 84 Jahren auf ihrem Schloss Herrenhausen in Hannover. Nur zwei Monate später segnete auch Queen Anne das Zeitliche – Sophie hatte ihre Königinnenwürde also nur um wenige Wochen verpasst. Und so war es Sophies Sohn Georg Ludwig der an Stelle seiner Mutter 1714 als erster Monarch aus dem Hause Hannover den britischen Thron bestieg und eine neue Ära einleitete. Nach dem Zeitalter der Stuarts war in Großbritannien die Zeit der Hannoveraner angebrochen: Eine deutsche Familie, die für 187 Jahre über das britische Königreich herrschen und erst nach der Regentschaft Queen Victorias im Jahre 1901 zu Ende gehen sollte. 123 Jahre dieser Zeit wurden Großbritannien und Hannover dabei in Personalunion von denselben Monarchen regiert: Georg I, Georg II, Georg III, Georg IV und Wilhelm IV. Als 1837 mit der jungen Victoria eine Frau die Herrschaft in Großbritannien übernahm, ging die Thronfolge im Königreich Hannover an Ernst August, ein Sohn von Georg III., da eine weibliche Thronfolge in Hannover nach wie vor ausgeschlossen war.

Heute wird die Hannoverische Ära im Vereinigten Königreich in zwei Epochen unterteilt: Georgian Britain - das Zeitalter der Personalunion zwischen 1714 und 1837, das von vier Georgs und einem Wilhelm regiert wurde - und das nach Queen Viktoria benannte Viktorianische Zeitalter zwischen 1837 und 1901.

Ab heute heißt Du George!

Mit seinem Amtsantritt als „King of Great Britain“ wurde aus „Georg Ludwig“ „George Louis“ - besser bekannt als George I. - und somit der erste von vier Georgian Königen, die das Land durch ein Zeitalter großer Veränderungen begleiten sollten. Aufklärung, Industrialisierung, der Aufbau des Britischen Weltreiches und die Napoleonischen Kriege waren dabei zentrale Themen, die nicht nur die Hannoveraner Monarchen sondern auch das Parlament und die Bevölkerung forderten und letztendlich zu einem neuen Staat mit neuen Strukturen führten.